C. Hochmuth: Globale Güter - lokale Aneignung

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Title
Globale Güter - lokale Aneignung. Kaffee, Tee, Schokolade und Tabak im frühneuzeitlichen Dresden


Author(s)
Hochmuth, Christian
Series
Konflikte und Kultur - Historische Perspektiven 17
Published
Konstanz 2008: UVK Verlag
Extent
272 S.
Price
€ 34,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Manuel Schramm, Technische Universität Chemnitz

Die Geschichte der Genussmittel übt seit den 1980er Jahren eine große Anziehungskraft auf die Historiker/innen aus.1 Der Hintergrund liegt zum einen in der Popularität des Gegenstandes, der auch außerhalb von Fachkreisen Beachtung findet. Zum anderen wurde die Beschäftigung mit dieser Thematik durch das Aufkommen der Alltagsgeschichte begünstigt. Auch die traditionelle Sozialgeschichte und die neue Kulturgeschichte wandten sich in der Folgezeit mehr und mehr den „choses banales“2 zu. Die Erkenntnisinteressen sind dabei durchaus unterschiedlich. Während lange Zeit Versuche dominierten, die Genussmittel in einen großen Modernisierungs- und Zivilisationsprozess im Sinne von Norbert Elias 3 einzuordnen (vor allem bei Wolfgang Schivelbusch), interessiert sich die neuere Forschung eher für die transnationale Verbreitung dieser Genussmittel und versucht, sie in den politischen und kulturellen Kontext anderer Transnationalisierungsprozesse, beispielsweise der Kolonialisierung, einzuordnen.4

In diesen Kontext ist die Arbeit von Christian Hochmuth einzuordnen, die als Dissertation am Sonderforschungsbereich 537 „Institutionalität und Geschichtlichkeit“ der Technischen Universität Dresden entstanden ist. Sie untersucht die Wahrnehmung und Aneignung der neuen globalen Güter Kaffee, Tee, Schokolade und Tabak am Beispiel der Residenzstadt Dresden vom späten 17. zum frühen 19. Jahrhundert. Der konzeptionelle Ansatz leitet sich aus der neuen Kulturgeschichte her, für die „Aneignung“ ein Schlüsselbegriff darstellt, sowie aus dem erwähnten Dresdner Sonderforschungsbereich, der sich für „Praktiken institutionellen Ordnens“ (S. 17) durch verschiedene Akteure interessiert.

Der Hauptteil der Arbeit ist in drei große Abschnitte gegliedert. In Kapitel II beschreibt der Autor die Strukturmerkmale Dresdens in der Frühen Neuzeit, in Kapitel III die Diskurse über die untersuchten Genussmittel. Diese Kapitel bieten einen soliden und kritischen Überblick über die Literatur, sie bieten aber nichts wesentlich Neues. Hinsichtlich der physiologischen wie gesellschaftlichen Auswirkungen des Konsums der neuen Genussmittel differierten die Autoren der Zeit bekanntlich erheblich, was Hochmuth vor allem als Verunsicherung wertet. Den Kern der Arbeit bildet Kapitel IV, in dem die Praktiken des Handels, des privaten und öffentlichen Konsums, der obrigkeitlichen Konsumsteuerung und der „Heimholung“, also des Ersatzes durch einheimische Produkte, beschrieben werden. Dabei breitet er ein interessantes Panorama des frühneuzeitlichen Handels, Konsums und auch der Politik in Dresden aus. Im Handel waren die Kontrollbemühungen der Kaufmannsinnung nur mäßig erfolgreich. Vor allem ausländische, insbesondere italienische, Kaufleute spielten bei der Verbreitung der neuen Genussmittel eine wichtige Rolle. Während sich Kaffee und Tabak im 18. Jahrhundert in weiten Teilen der Stadtbevölkerung verbreiteten, blieb die Schokolade ein Getränk der Oberschicht. Das Kaffeehaus war nicht nur ein Ort der aufgeklärten bürgerlich-adeligen Öffentlichkeit, sondern auch und vor allem des Glücksspiels, der Prostitution und des Aufruhrs, wobei sich im Laufe des 18. Jahrhunderts verschiedene Arten von Kaffeehäusern als Treffpunkte für Angehörige verschiedener Schichten ausdifferenzierten. Aufgrund dieser Wahrnehmung der Kaffeehäuser als potentielle Gefahrenherde versuchte die Obrigkeit auch nicht, das Kaffeetrinken anstelle des Alkoholkonsums zu fördern, sondern versuchte im Gegenteil den Dresdnern Bier statt Kaffee schmackhaft zu machen. Außerdem förderte sie den Anbau von Zichorie als Kaffeeersatz und von einheimischem Tabak, deren Konsum aber weitgehend auf die unteren Schichten beschränkt blieb.

Seine Ergebnisse fasst der Autor in vier Thesen zusammen: erstens habe Dresdens Status als Residenzstadt wesentliche Auswirkungen auf die Aneignung der Waren gehabt; zweitens habe die Verbreitung der Genussmittel eine Vielzahl von Problemen generiert; drittens hätten die Akteure zur Aneignung der Waren spezifische Ordnungsleistungen erbracht; und viertens habe die Herkunft als Kategorie bei der Einordnung der Waren eine zentrale Rolle gespielt. Die Studie ist insgesamt ein gelungenes Beispiel für eine Lokalstudie, die die Innenseite von Transnationalisierungsprozessen untersucht. Sie ist klar gegliedert und gut lesbar. Der Autor geht mit der vorhandenen Literatur und seinem Quellenmaterial kritisch um. Wesentliche Einwände sind nicht zu formulieren, nur ein oder zwei kleinere Kritikpunkte. So bleiben die Thesen am Ende doch etwas allgemein. Gern hätte man mehr darüber erfahren, was die durch die Einführung der neuen Güter aufgeworfenen Probleme und institutionellen Ordnungsleistungen längerfristig bewirkten, z. B. hinsichtlich der Wahrnehmung anderer Kulturen. Die Kategorie der Herkunft ist zwar wichtig, doch erscheint sie häufig als bloße Dichotomie inländisch/ausländisch, ohne dass die Güter zu ihren Herkunftsgebieten in irgendeine engere Beziehung gesetzt würden. Zu bedauern ist auch, dass der Autor keinen Versuch unternimmt, seine Studie in die reiche konsumhistorische Forschungsliteratur einzuordnen. Über Tee und Schokolade erfährt der/die Leser/in weniger als über Kaffee und Tabak. Aber das sind Kleinigkeiten, die den Wert der Studie nicht schmälern sollen.

Anmerkungen:
1 Vgl. Wolfgang Schivelbusch, Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft. Eine Geschichte der Genussmittel, München 1980; Roman Sandgruber, Bittersüße Genüsse. Kulturgeschichte der Genussmittel, Wien 1986; Thomas Hengartner/ Christoph Merki (Hrsg.), Genussmittel. Ein kulturgeschichtliches Handbuch, Frankfurt am Main 1999; Annerose Menninger, Genuss im kulturellen Wandel. Tabak, Kaffee, Tee und Schokolade in Europa (16. - 19. Jahrhundert), Stuttgart 2004.
2 Daniel Roche, Histoire des choses banales. Naissance de la consommation dans les sociétés traditionnelles, Paris 1997.
3 Norbert Elias, Über den Prozess der Zivilisation, 2 Bde., Frankfurt am Main 201997.
4 Sidney Mintz, Sweetness and power. The place of sugar in modern history, New York 1985.

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Published on
05.02.2009
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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